Ars electronica 2

Vorab: viel blieb leider nicht übrig von diesen ersten, für die damalige Zeit revolutionären Ansichten, obgleich die unseren Vorstellungen zugrunde liegende Subkultur surrealer Technokratie eigentlich einen herausragenden Erfolg hatte. Filme wie "Bladerunner" und Bücher wie "Neuromancer" waren Inbegriffe unserer Vorstellungswelt und sind heute noch sehens- bzw. lesenswert. Der Sänger Billy Idol hatte (später - aber immerhin) nicht die naheliegende Chance verpasst, ein Album "Cyberpunk" zu betiteln. Bruce Bethke war es, der diesen Begriff 1983 in einer Kurzgeschichte erstmals prägte [Anm.: diese Begriffsschöpfung wird häufig fälschlich William Gibson zugeschrieben. Dieser schuf aber (lediglich) den Begriff "Cyberspace" und zwar nicht in seinem Roman Neuromancer, wie oft angenommen wird, sondern ebenfalls in einer Kurzgeschichte mit dem Titel "Burning Chrome", welche (zufällig?) auch 1983 erstmals erschien.]

Wenn man heute im Fernsehen mangels brauchbarer innovativer Ideen der Programmgestalter Retro-Shows über die 80er Jahre, die gerade turnusmäßig für das Konsumrevival anstehen, sieht, so wird man feststellen, dass dort ein oberflächliches, kommerzielles Bild dieser Zeit gezeichnet wird. Selbst der Bestseller "Generation Golf" von Florian Illies beschränkt sich auf die politischen Konsequenzen der oberflächlichen Einstellung der damaligen SchickiMicki-Gesellschaft - was wohl auch der Grund dafür ist, dass es ein Bestseller wurde. Unterschlagen wird dabei zunächst folgendes: es war dies zuvorderst die Zeit des kalten Krieges und die weltweite atomare Bedrohung näherte sich durch den Rüstungswettlauf der Vereinigten Staaten mit der Sowjetunion einem kritischen Punkt. Die atomare Bedrohung war Ausgangspunkt der "Globalisierung", da sich die Fehde der beiden Mächte um die politische und insbesondere militärische Vormachtstellung, die zur Tarnung gegenüber den Bürgern als Fehde von Weltanschauungen verpackt wurde (obwohl der Kommunismus schon lange "verloren" hatte), nicht mehr auf innerstaatliche Exzesse (McCarthy & Hoover) oder kleinere Scharmützel oder Machtproben (Schweinebucht & Berlin-Blockade) beschränkte. Vielmehr war klar, dass eine Eskalation dieser Fehde die gesamte Welt in Mitleidenschaft ziehen würde. Diese Bedrohung wurde damals - ebenso wie heute die des Terrorismus - als sehr real empfunden, vor allem, da ein Ende nicht abzusehen war. Die CIA wusste zwar, wo in Russland wie viele Gewehrkugeln rumlagen, hatte aber keine Ahnung, dass das komplette russische System alsbald in sich zusammenbrechen würde. Man sah also sprichwörtlich den Wald vor lauter Bäumen nicht. Der Film "The Day After" ist wie kein anderer nachhaltiger Ausdruck der damals allgegenwärtigen Ängste. Vor diesem Film versuchte Hollywood die Wahrheit - für alle Fälle - in Teenager-Filmen wie "War Games" zu transportieren ("A strange game, there is no winning move..."). Letztlich hatten sich damit bis in die 80er Jahre die Verdummung des Volkes und Verharmlosung der Bedrohung, die in den 50er Jahren mit "Duck & Cover" anfing, disproportional zur gewachsenen Gefährlichkeit fortgesetzt.

Die Grundstimmung in den 80er Jahren war daher eher depressiv. Dieses Gefühl der Ausweglosigkeit, die zu dem bemerkenswerten Schlusssatz "No Exit" in Bret Easton Ellis' Roman "American Psycho" geführt hat, war allgegenwärtig. Der erwähnte Roman war literarischer Ausdruck dieser Epoche. Das Gefühl der Unvermeidbarkeit des Untergangs, dessen Eintritt nur eine Frage der Zeit wäre, verbunden mit einer hoffnungsschwangeren Melancholie gipfelt in "Bladerunner" oder - besser - dem zugrundeliegenden Buch von Philip K. Dick "Do Androids dream of electric sheep?" und schließlich in dem allmächtigen und allgegenwärtigen "Terminator" (Teil 1). Der Erfolg von Terminator beruhte meiner Meinung nach nicht auf der Präsenz des kalifornischen Gouverneurs, sondern darauf, dass dieser Film politische und kulturelle Strömungen dieser Zeit wie kein anderer kombinierte. Anderes, typisches Beispiel für das Weltbild von damals ist natürlich "Mad Max" (Kevin Kostner hat in "Waterworld" alten Wein in neuen Schläuchen verkaufen wollen). Auch in musikalischer Hinsicht dominierte - abgesehen von einer heute in dieser Form nicht mehr festzustellenden Diversität in den Hitparaden - Leidensmusik. Genannt werden soll hier statt aller das Extrem Laibach, der stille Vorreiter von Gruppen wie Rammstein. Einige nahmen all dies freilich zu wörtlich und wurden schließlich aufgrund ihrer zur Schau gestellten Nekrophilie als "Gruftis" bezeichnet.

Freilich war da noch eine andere Komponente, nämlich die äußerst bemerkenswerte unterkühlte (nicht: coole) Eleganz der 80er Jahre, die sich selbst in kitschigen Filmen für den Massenmarkt ausdrückte. Um bei Filmen zu bleiben: "Subway", "9 1/2 Wochen" und "Frantic" sind einige typische Beispiele für die Filme dieser Zeit und alle haben das Eine gemeinsam: das Selbstverständnis der Verzweiflung verbunden mit einer melancholischen Selbsterkenntnis der Ironie unserer Gesellschaft, welche sich letztlich in einer destruktiven Gelassenheit auswirkte. Eine latente Omnipräsenz zeigt in all diesen Filmen die Mystifizierung des Neon. Das Licht dieses Gases war vielleicht, um es poetisch zu formulieren, optimaler Ausdruck der chaotischen, labilen Dynamik des Stoffes verbunden mit der einmaligen erleuchtenden Wirkung. Immer wieder blieb aber der Beigeschmack der Sinnlosigkeit und der Ausweglosigkeit der Situation. No Exit! Selbst William Gibson's Szenarien konnten sich daher nicht von der Optik der 80er Jahre lösen, sie vielmehr lediglich dekonstruieren. Zahlreiche Handlungsorte in seinen Romanen werden daher - man lese es selbst nach - vom flackernden Schein kaputter Neonleuchten erhellt. Vielleicht mussten wir uns daher zunächst von uns selbst befreien.

Diese Befreiung kam aus politischer Sicht mit dem Zerfall der Sowjetunion und dem proklamierten "Ende" des kalten Krieges (sind sie wirklich so naiv zu glauben, dass im Pentagon die Notizblöcke zugeklappt wurden und die Generäle sagten: "Well, ladies & gentlemen, our work here is done!"?). Die Konflikte wurden gewandelt, kompliziert, vertuscht, aber sie blieben existent. Aber nicht für alle. "Anything goes" war für die breite Masse die Devise Anfang der 90er, folgend einem Songtitel von Guns N´Roses (1987) und Kelly Bundy prägte dementsprechend als Antwort auf die Feststellung ihres Bruders, dass sie grenzenlos dumm sei, die zweifelhafte Weisheit "These are the nineties. I can be what I want". Diese neue Erleichterung, die bis zum 11. September 2001 der breiten Bevölkerung vorgegaukelt wurde hat die damals unterdrückten subkulturellen Stimmungen in die Breite getreten und damit verflachen lassen. Die - zur Klarstellung: vor dem Zeitalter des Internets entwickelten - Ideen der Cyberpunk-Generation erfreuten sich jedoch auch in den 90ern und heute sogar noch mehr großer Beliebtheit, haben jedoch entsprechend dem Zeitgeist eine kommerzielle Abwandlung erfahren, von der meines Erachtens die Trilogie "The Matrix" die groteskeste ist. Ich bezweifle (freilich als Einziger), dass der Film von Anfang an als Trilogie geplant war. George Lucas hatte wenigstens den Mut zuzugeben, dass es eigentlich immer bei den drei "Krieg der Sterne"-Filmen bleiben sollte. Wir leben in einem Zeitalter von Einspielerfolgen abhängigen Fortsetzungen und in einer Mode mehrteiliger Epen (Krieg der Sterne 1 bis 3, Herr der Ringe 1 bis 3, Myst - ein Computerspiel - 1 bis 5, Harry Potter 1 bis ...).

Ich muss Sie enttäuschen: das im ersten Teil von "The Matrix" entworfene theoretische Konzept ist alles andere als neu. Die Frage, ob unser Leben nur ein Traum, oder vielleicht sogar ein Traum nur innerhalb eines Traumes ist, oder ob nicht unsere Träume die eigentliche Realität sind, ist schon sehr viel älter und wurde meines Wissens schon durch Edgar Allen Poe (1809-1849) populär. "Neu" war lediglich - und auch nur teilweise - die Interpretation, die Darstellung in einem technischen Kontext. Auch die Idee des Krieges und der Herrschaft der Maschinen ist aber aus "Terminator" übernommen. In Herbert Rosendorfer, Ballmann's Leiden behauptet der Held, dass die Realität nur Schauspiel ist und ich bin mir sicher, dass eine entsprechende Recherche ältere Bücher mit den gleichen Ideen zu Tage fördern würde. Trotzdem: nicht schlecht kombiniert! Die Produzenten des Films hatten aber schließlich nicht den Mut, das subkulturelle Konzept von "The Matrix" zu Ende zu denken. Statt dessen hat man die Sicherung der Einspielquoten - wie so oft - den Effektproduzenten überlassen. Enttäuschend - ebenso enttäuschend wie die im Grunde noch sachnähere Verfilmung von "Johnny Mnemonic" Mitte der neunziger Jahre (übrigens auch mit Keanu Reeves in der Hauptrolle).

Mir liegt nicht daran, moderne Projekte schlecht zu machen und unsere damaligen Vorstellungen von Cyberpunk in verklärende Nostalgie zu hüllen. Mir liegt vielmehr daran, den subkulturellen Kontext der Entwicklung von Computergrafik darzustellen. Dieser Kontext war damals noch dynamisch und erfuhr eine weitere Dynamisierung durch die Ankunft des Internets. Im Vergleich dazu ist seit den 90er Jahren eine Stagnation eingetreten. Eine wirkliche künstlerische Fortentwicklung der Technik ist leider nicht erfolgt. Unser ehrgeiziges Projekt des technologischen Neosurrealismus hat es nicht geschafft, über die Grenzen der Science-Fiction-Industrie hinaus Fuß zu fassen und Produkte wie der vollständig computergenerierte Film zu "Final Fantasy" ist das "Beste", was wir heute zu bieten haben. Disney und Pixar nutzen die Technik, um die Trickfilme kostengünstiger und realitätsnäher zu produzieren. Ein Plus an Fantasie ist jedoch nicht zu verzeichnen. Wo wir gerade dabei sind: es waren übrigens nicht die Feuerwerke von Industrial Light & Magic, die damals die Computerszene beherrschten. Das Animationsstudio von George Lucas hatte erst mit den Hollywood-Filmen zunehmenden Erfolg. Die eigentlichen kreativen Vorreiter der Szene waren die Designer bei Pixar, die mit legendären Kurzfilmen wie "Luxo Jr", "Red's Dream", "KnickKnack" oder "Tin Toy" (mittlerweile alle bei iTunes erhältlich) den Weg für die Zukunft der Computergrafik bereiteten. Diese Filme tragen - wenn auch nicht auf den ersten Blick - einen heute nicht mehr vorzufindenden Pioniergeist in sich und sind überwiegend Nebenprodukte von neuen Entwicklungen. Zum Beispiel ist der Film "Tin Toy" das Nebenprodukt der erstmaligen computergrafischen Auseinandersetzung mit der Darstellung von Menschen.

Muss man enttäuscht sein? Vielleicht! Solange wir die Möglichkeit der Vernetzung vorwiegend dazu nutzen, "selbstheilende Minenfelder" zu entwickeln (man bedenke: selbstHEILEND - es ist nicht zu fassen!) werden wir weit entfernt davon sein, unser modernes Lebensumfeld zum Bestandteil unseres kulturellen (nicht kommerziellen!) Bewusstseins zu machen. Die Gaia-Hypothese hat nicht viele Anhänger gefunden und genau so wird vermutlich auch die auf dem universellen Kooperationsprinzip basierende Theorie der "Netizen", der kulturellen Lebensgemeinschaft der Bewohner des "Netzes" eine Randerscheinung bleiben oder zumindest nur bei den Menschen übereifrigen Anklang finden, die noch nicht einmal Rupert Sheldrake's morphogenetische Felder oder die "Theorien" dieses Plagiators Erich von Däniken kritisch hinterfragen [Anm.: ich überlege mir schon lange, ob ich nicht ein Buch schreibe, welches allgemein verständlich darlegt, welchen Unsinn dieser Mann eigentlich schreibt, aber ich fürchte kein Verlag würde so etwas drucken, da es einen Markt nur für UFO-Anhänger, nicht aber für UFO-Skeptiker oder UFO-Realisten gibt. Wer allerdings wissen will, wie wenig selbstverständlich die Zusammenhänge in diesem Kontext sein können, dem sei das Buch "Die Stimme des Herrn" von Stanislaw Lem empfohlen]. Solange die Vernetzung jedoch nur Teil unseres Selbstverständnisses und nicht unseres Selbstbewusstseins ist, kann von einer kulturellen Entwicklung nicht die Rede sein.

Ich will hier nicht der Mode des Retro-Designs das Wort reden und schon gar kein Revival der 80er Jahre heraufbeschwören. Ich bin lediglich daran interessiert, einen heutigen Ausdruck des subkulturellen, künstlerischen Aspekts der diesem mächtigem Medium "Computergrafik" anhaftenden Möglichkeiten zu entdecken. Wer von entsprechenden Bewegungen oder auch nur Strömungen weiß, der möge mir bitte eine Email schreiben. Um den Kreis zu schließen: das Netzwerk NOIR kenne ich schon.

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