Status quo

Am Anfang unseres Projektes „alte Bruchhütte“ stand natürlich eine umfassende Bestandsaufnahme. Da das Haus trotz verbleibender historischer Ungewissheiten jedenfalls definitiv aus einer Zeit vor der nachhaltigen Existenz förmlicher Baugenehmigungsverfahren stammt, waren keine verwertbaren, zumindest keine (leider notwendigen) „ordnungsgemäßen und sämtlichen Rechtsvorschriften genügenden“ Bauvorlagen vorhanden. Die spätmittelalterliche Baupolizei beschränkte sich vielmehr von Fall zu Fall auf punktuelle Fragen wie insbesondere der Eindämmung der „Feuersgefahr“.

Zunächst war daher ein Bestandsplan zu erstellen, der die Lage der Räume, die entsprechenden Maße und die statischen Bestandteile identifizieren und uns eine zeichnerische Beschäftigung mit dem Objekt ermöglichen sollte. Insbesondere hinsichtlich der statischen Zusammenhänge wollten wir trotz der faktischen Aussagekraft des vermuteten Alters unseres Hauses nicht dauerhaft auf die „Schläue des Materials“ vertrauen. Aus Kostengründen wurde jedoch auf ein von Denkmalschutzbehören (deren Jurisdiktion wir jedoch nicht unterfielen) in der Regel gefordertes, so genanntes verformungsgerechtes Aufmass des Bestands verzichtet, da wir einer beschränkten Änderung der Form und Nutzungsart einzelner Bauteile aufgeschlossen gegenüber standen und insoweit, trotz einer Anerkennung der grundsätzlichen Nützlichkeit, aus unserer Sicht eine derart detaillierte und damit kostenintensive Dokumentation wirtschaftlich nicht vertretbar war.

Eine Dokumentation des Status Quo war schon erforderlich, um konkret die weitere Planung zu bewerkstelligen. Das wohl schwierigste Unterfangen bei der Umplanung eines bestehenden Objektes dürfte sein, sich von den real existierenden Vorgaben zu lösen. Es stellte sich heraus, dass man angesichts des Vorhandenseins eines Modells im Maßstab 1 : 1 leicht versucht ist, Lösungen ausnahmslos in das Bestehende zu integrieren und Veränderungen u. U. voreilig als undurchführbar oder unverhältnismäßig abzulehnen.

Hilfreich war hier der radikale zeichnerische Ansatz, alle, insbesondere alle wohl nicht zur ursprünglichen Bausubstanz gehörenden Elemente – mit Ausnahme der tragenden Strukturen (die jedoch ohnehin sämtlich Altbestand waren) – aus dem Plan zu löschen und so geistigen Spielraum zu schaffen. Auf diese Weise haben sich in der Tat einige bauliche Veränderungen ergeben, deren Möglichkeit anfangs allseits bezweifelt, deren Funktionalität nachher jedoch uneingeschränkt begrüßt wurde. So wurden beispielsweise aus drei kleinen Durchgangszimmern auf der Südseite des Erdgeschosses im Rahmen der Umplanung zwei großzügigere Räume. Beim Abgraben des Bodens zur Erstellung eines feuchtigkeitsgeschützten Bodenaufbaus der erdberührten Bodenflächen stießen wir dabei auf alte Bruchsteinmauerwerke der ursprünglichen Bausubstanz, die eben diese Aufteilung in zwei Räume, exakt nach dem Schema der Umplanung, widerspiegelten.

Bereits zur frühen Zeit der ursprünglichen Errichtung des Hauses hatte man also ein Auge für Funktionalität und Großzügigkeit – Dogmen, die vielerorts fälschlich als Geist erst neuzeitlicher Wohnkultur gepriesen werden (freilich war damals diese großzügige Raumeinteilung im Gegensatz zu heute durch die Notwendigkeiten bestimmt). Leider war dieser ursprüngliche Ansatz im Laufe der Jahrhunderte kaputtsaniert und zuungunsten kleiner Raumeinteilungen mit einer unfunktionellen Gliederung als Durchgangsräume aufgegeben worden. Die nachträchlichen Eingriffe waren zum Glück bereits bei oberflächlicher Betrachtung erkennbar. So ließ zum Beispiel das mittlere Fenster der Südseite die abgewinkelten Laibungen der anderen Fenster vermissen. Durch eine konsequente Befreiung hiervon konnte somit der ursprüngliche Grundriss wieder hergestellt und gleichzeitig einer modernen Nutzung zugeführt werden.

[Der Bestandsplan zeigt die Aufteilung in drei unbequeme Durchgangsräume]
[Der Tekturplan sieht zwei vom Fletz aus begehbare, großzügigere Räume vor.
Die ursprüngliche Form der Fensterlaibungen - nicht eingezeichnet - wurde selbstverständlich beibehalten.]
[Spätere Abgrabungen zeigten, dass die Neuplanung lediglich das Konzept der ursprünglichen Bausubstanz wiederherstellte.]

Einer solchen architektonischen Rückführung bzw. Neugliederung sind allerdings bisweilen auch ästhetische (und finanzielle) Grenzen gesetzt. Eine Freilegung der ursprünglichen Bruchsteinmauern brachte - neben Anhaltspunkten für verschiedene Bauphasen - beispielsweise zutage, dass das Haus durch mehrere kleinere Fenster mit damals bautechnisch logischen, heute zudem als bemerkenswert erachteten Segmentbögen belichtet wurde. Im Rahmen von Umbauten des letzten Jahrhunderts wurden diese Fenster (leider – weil offensichtlich unüberlegt) überwiegend zu wenigen großflächigen Fenstern umgestaltet. Die Höhe der Fensterstürze unter Deckenhöhe sowie die grobe Ausmauerung mit Ziegeln und Blähbetonsteinen lassen jedoch eine Herstellung des ursprünglichen Zustands nicht, jedenfalls nicht zu vertretbaren Kosten, zu. Gleichzeitig schied aufgrund der umbaubedingten Unterbrechungen und Störungen im Mauerwerk damit weitgehend aus, die Bruchsteinwände als Sichtmauerwerk zu gestalten.

[Die ursprünglichen Fenster hatten durch die übliche Gewölbestütztechnik schöne Segmentbögen.
Nur vereinzelt war jedoch eine Konservierung dieser Form möglich]

Die Freilegung der Mauern ergab auch, dass es sich bei dem als Abstellkammer genutzten Gewölbebereich im Erdgeschoss – wie vermutet – um eine so genannte Rußkuchl handelte. Die freigelegten Bruchsteine des ursprünglichen Gewölbemauerwerks waren schwarz verrußt. Der aufgrund der Feuergefahr obrigkeitlich verordnete Rückbau dieses Backofens dürfte wohl in die Zeit der Einführung so genannter russischer Kamine erst ab dem 18. Jahrhundert zuzuschreiben sein. Der augenfällige scharfe Übergang zwischen völlig verrußten und nur wenig verrußten Kalkbruchsteinen zeigt noch heute die Ausmaße des ursprünglichen Ofeneinsatzes.


[Die verrußten Bruchsteine lassen die ursprüngliche Funktion als „Rußkuchl“ deutlich erkennen.
Ebenso ist an der Rußlinie das Ausmaß des ursprünglichen Ofeneinsatzes noch erkennbar]

Lange Zeit war es in der Oberpfalz nicht ungewöhnlich, dass die Abgase durch das Haus (so nannte man damals z. B. im Stiftsland den Flur) zogen, obwohl die Obrigkeit seit langem darauf drängte, dass „zu Verhüettung Prandtschadens ain jeder ain gemauerten Schloth haben und machen lassen“ muss (Hirschau, 1670). Für den nahe gelegenen Ort Beratzhausen wurden ebenfalls bereits ab 1700 so genannte „Kindlöfen“, d. h. Öfen mit Kamin, als unbedingter Standard gefordert. In einer matriarchalischen Familie aufgewachsen war es für mich keine exorbitante – wenngleich von den weiblichen Teilen der Familie mit begrenztem Humor aufgenommene – Gedankenleistung, den damaligen Ofen zum zukünftigen Eingangsbereich umzufunktionieren.

Gleich wie das spätere Ergebnis des Umbaus aussehen soll, hat man sich zu Beginn eines solchen umfangreichen Sanierungsvorhabens die Frage zu stellen, ob die geplanten baulichen Eingriffe verhältnismäßig sind. Die hängt von der vorhandenen Bausubstanz, der Intensität des geschichtlichen Interesses und dem damit verbundenen Konservierungswillen, der Einschätzung der Baukosten und der Bereitschaft zu Abstrichen bei der Wohnqualität ab. Bisweilen ist jedoch, wie z. B. auch von dem auf dem Gebiet der Altbausanierung durch mehrere Veröffentlichungen ausgewiesenen Architekten Holger Reiners vertreten wird, die konsequente Umnutzung und Vollsanierung die einzige Möglichkeit, die alte Bausubstanz am Leben zu erhalten bzw. ihr neues Leben einzuhauchen.

Dieser Erkenntnis folgend sind auch wir wo nötig und sinnvoll den Weg der Vollsanierung gegangen und haben uns entschieden, zwar die wesentlichen baulichen Merkmale dieses alten und ehrwürdigen Bauernhauses (Gewölbe, Fachwerk, Holzbalkendecken, Bruchsteinmauerwerk, Grundform und Dachkonstruktion) zu erhalten, so sie doch Ausdruck seiner langen Geschichte sind, im übrigen jedoch das Haus entsprechend den integrierbaren Ansprüchen an eine moderne Bauweise neu zu gestalten. Überschüssige Bauteile des Hauses, so sie nicht mehr zur ursprünglichen Funktion tauglich waren, wie z. B. die aufgrund nachhaltiger Verrottung nicht mehr ausreichend tragfähigen Dachsparren, wurden konserviert und größtenteils anderen Nutzungen zugeführt.

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